#Antigenderismus

Der Anti-Genderismus richtet sich gegen die Geschlechterforschung und das mit dem Gender-Begriff verbundene dekonstruktivistische¹ Verständnis von Geschlecht.
Sabine Hark und Paula-Irene Villa prägten 2015 den Begriff Anti-Genderismus in ihrem Buch: „Anti-Genderismus Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen.“
Die Verbreitung rechtspopulistischer Einstellungen und Politiken, insbesondere in einigen Ländern Ost- und Mitteleuropas, zielt darauf ab demokratische Systeme in illiberale² oder völkisch-identitäre³ Gesellschaftsformen umzuwandeln. Dies geht einher mit aggressiven Attacken gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, inter* und queere Personen, emanzipatorische Bewegungen und den wissenschaftlichen Zweig der Gender Studies. Dieser setzt sich mit sozialen Konstruktionen, Rollen, Identitäten und Machtstrukturen in Bezug auf Geschlecht auseinandersetzt. Anti-Genderismus fungiert hierbei als symbolisches Brückennarrativ.

Im Gegensatz zum klassischen Antifeminismus zielen die Argumentationsmuster des Antigenderismus nicht hauptsächlich auf die Frauenbewegungen und ihre Forderungen und Errungenschaften ab, sondern vielmehr auf die Geschlechterforschung und speziell auf das mit dem Gender-Begriff verbundene dekonstruktivistische Verständnis von Geschlecht.

Maihofer und Schutzbach identifizierten 2015 drei zentrale Argumentationsmuster:
1. Im Kontext des Gender-Begriffs wird ein Szenario der Bedrohung durch sexuelle Vielfalt und Homosexualisierung entworfen. Es wird angenommen, dass das Wissen über Sexualität und geschlechtliche Identitäten insbesondere Kinder in ihrer Entwicklung gefährdet und sie zu lesbischen, schwulen, bisexuellen oder trans* Personen macht.
2. Es wird vor einer “genderistischen” Gleichmacherei und Umerziehung durch Maßnahmen der sexuellen Bildung und Sexualpädagogik gewarnt. Nach diesem Glauben zerstören diese Maßnahmen die bürgerliche Familie und damit die traditionelle Geschlechterordnung, die es zu verteidigen gilt.
3. Die Genderstudies werden dafür verantwortlich gemacht. Aufgrund ihrer vermeintlichen Unwissenschaftlichkeit soll ihnen die Legitimität entzogen werden.

Anti-Genderismus als Rechte Mobilisierungsstratgie
Aktuelle Studien verweisen auf neoliberale Veränderungen, die zu einer Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt und größerer sozialer Ungleichheit führen. In Deutschland hat sich das Geschlechterverhältnis grundlegend gewandelt, weg vom Modell des männlichen Alleinverdieners und hin zu pluralistischen Familienarrangements.
Antifeministische Akteur*innen reagieren darauf und verwenden “Gender” dabei abwertend im rechtspopulistischen Diskurs, um verschiedene Themen der rechten Kommunikation gegen “die politische Elite” und gegen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zu mobilisieren. Der Anti-Gender-Diskurs bildet somit die Grundlage einer “männlichen Identitätspolitik”. Die Angriffe auf Feminismus und Gleichstellungspolitiken sind Teil einer umfassenderen Strategie, die einen autoritären Umbau der Gesellschaft anstrebt (Streichhahn 2020).

Neurechts-christliche Protagonist*innen
Einige Menschen, die sich als Christlich betrachten und gleichzeitig politische Ideen der Neuen Rechten unterstützen, finden eine Verbindung zwischen beiden Ideologien. Gabriele Kuby, eine zum Katholizismus konvertierte Publizistin, ist eine der wichtigsten Quellen für kirchliche und außerkirchliche Anti-Gender-Bewegungen. Sie ist bekannt für ihre Beiträge in der “Jungen Freiheit” und hat auch internationalen Einfluss, wie ihre Teilnahme als Rednerin am Internationalen Forum “Große Familien und die Zukunft der Menschheit” in Moskau zeigt, das von Putin-Nahen Kreisen organisiert wurde. Obwohl Kubys Bücher wissenschaftlichen Standards oft nicht genügen, dienen sie den Kritiker*innen von Gender-Studien oft als Grundlage, ohne dass ihre Behauptungen hinterfragt werden.

Die Anti-Genderismus-Ideologie bedroht die Vision einer geschlechtergerechten und diversitätsreflektierten Kinder- und Jugendhilfe, weil sie:
1. Soziale Fortschritte bedroht: Sie richtet sich gegen die Geschlechterforschung und Gender-Studies, die wesentlich zur Aufklärung über Geschlechterrollen und -identitäten beitragen. Durch die Ablehnung dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse werden soziale Fortschritte in Bezug auf Geschlechtergleichstellung und sexuelle Vielfalt behindert.
2. Gesellschaftliche Spaltung fördert: Indem sie gegen sexuelle Minderheiten und emanzipatorische Bewegungen hetzt, trägt sie zur Spaltung der Gesellschaft bei und schafft Feindbilder gegenüber LGBTQIA*-Personen und ihren Unterstützern.
3. Autoritäre Strukturen unterstützt: Die Ideologie wird oft von rechtspopulistischen und autoritären Regimen genutzt, um demokratische Prinzipien zu untergraben und illiberale Gesellschaftsformen zu fördern.
4. Geschlechterrollen und -identitäten einschränkt: Sie bekämpft ein dekonstruktivistisches Verständnis von Geschlecht und verteidigt traditionelle Geschlechterrollen, was zu einer Festigung geschlechtlicher Normen und Stereotypen führt und die individuelle Entfaltungsmöglichkeiten einschränkt.
5. Diskriminierung verstärkt: Indem sie die Legitimität von Gender-Studies und die Rechte sexueller Minderheiten in Frage stellt, verstärkt sie bestehende Diskriminierung und Vorurteile gegenüber LGBTQIA*-Personen und anderen marginalisierten Gruppen.
Insgesamt trägt die Anti-Genderismus-Ideologie dazu bei, gesellschaftliche Rückwärtsbewegungen zu fördern und die Errungenschaften im Bereich der Geschlechtergleichstellung und sexuellen Vielfalt zu gefährden.

 

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¹Im Kontext der Gender Studies bedeutet Dekonstruktivismus die kritische Analyse und das Aufbrechen binärer Geschlechterkonzepte (männlich/weiblich). Sozialen Konstruktionen und Machtverhältnisse, die diese Konzepte formen, werden dabei in Frage gestellt. Diese Perspektive betont, dass Geschlecht eine komplexe und fluide soziale Konstruktion ist, die durch soziale, kulturelle und historische Einflüsse geformt wird. Zudem fordert sie die Anerkennung und Auseinandersetzung mit Vielfalt und Differenz in Bezug auf Geschlechteridentitäten.
²”Illiberal” bedeutet eine Ablehnung von liberalen demokratischen Werten und Prinzipien.
³”völkisch-identitär” sich auf eine nationalistische Ideologie bezieht, die die Vorstellung einer homogenen ethnischen oder kulturellen Gruppe betont und oft mit rassistischen oder fremdenfeindlichen Ansichten einhergeht.

Zum Weiterlesen
Dietze, Gabriele: Anti-Genderismus intersektional lesen. In: Zeitschrift für Medienwissenschaft, Jg. 7 (2015), Nr. 2, S. 125-127. DOI: 10.25969/mediarep/1625.
Hark, S., & Villa, P. I. (Eds.). (2015). Anti-Genderismus: Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen. transcript Verlag.
Maihofer, A., & Schutzbach, F. (2015). Vom Antifeminismus zum” Anti-Genderismus”-Eine zeitdiagnostische Betrachtung am Beispiel Schweiz.
Streichhahn, V. (2020). „Antifeminismus damals und heute. Eine Geschichte ohne Ende?“. Wissen schafft Demokratie, Schriftenreihe des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft, Bd, 7, 19-28.
Von Braun, C. (2021). anti-Genderismus. Kursbuch, 53(192), 28-45.

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