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Klassismus bezeichnet die Diskriminierung und Benachteiligung aufgrund der sozialen Herkunft bzw. der sozialen und ökonomischen Position.

Betroffen sind meist Personen, die einer als „niedriger“ eingestuften sozialen Klasse zugeordnet werden. Bei der Zuordnung spielen neben ökonomischen Voraussetzungen wie Einkommen und Vermögen, auch Bildungsabschlüsse, das soziale Umfeld sowie Verhaltensweisen, Sprache, Wohnort und weitere Marker eine Rolle. In der Regel betrifft Klassismus erwerbs- oder wohnungslose Menschen sowie Arbeiter*innen. Diesen werden häufig negative Merkmale zugeschrieben. Etwa, dass sie faul, ungebildet oder kriminell seien (vgl. Seeck 2020: 17f.; Knop & Macioszek 2022: 9). „Klassismus hat konkrete Auswirkungen auf die Lebenserwartung und begrenzt den Zugang zu Wohnraum, Bildungsabschlüssen, Gesundheitsversorgung, Macht, Teilhabe, Anerkennung und Geld“ (Seeck 2020: 17).

Klassismus wird häufig als „vergessene“ Diskriminierungsform bezeichnet, da er in wissenschaftlichen und öffentlichen Debatten noch selten thematisiert wird (vgl. Kemper & Weinbach 2020: 13f.). Das liegt auch daran, dass wir in einer Leistungsgesellschaft leben, in der der Mythos besteht, dass jede*r den Aufstieg schaffen kann, wenn er*sie sich nur genug bemüht (vgl. Seeck 2020: 18; Kemper & Weinbach 2020: 33).

Gerade, weil die durch Klassismus hervorgerufenen Ungleichheiten und Diskriminierungen oft übersehen werden, eröffnet der Begriff und die „Formulierung von Klasse als Konstruktion, […] neue Felder für das Denken von Macht- und Herrschaftsmechanismen in der Gesellschaft“ (Kemper & Weinbach 2020: 14). Dabei ist zu beachten, dass Klasse verwoben mit anderen Kategorien wirkt, wie etwa Geschlecht(sidentität) oder Behinderung, also eine intersektionale Kategorie ist (vgl. Seeck 2020: 18).

Habitus als Ausdruck der sozialen Herkunft

Je nach sozialer Herkunft verfügen Menschen über bestimmte Werte, Haltungen, Einstellungen, (sprachliche) Ausdrucksmöglichkeiten und Umgangsformen sowie ökonomische Voraussetzungen. Die Gesamtheit dieser Merkmale und Eigenschaften wird auch „Habitus“ genannt (vgl. Haslinger & Patek 2007: 150; Erler 2007: 43f.) Dieser „bestimmt unsere Handlungen, wie wir denken, welche Entscheidungen wir treffen, wie wir unsere Freizeit verbringen, wie wir unsere Wohnung einrichten, welche Freundschaften wir haben, wie wir sprechen“ (Aumair 2021: 224). Er wird durch das Aufwachsen in und die Erfahrungen mit unserer Umwelt erworben. Deshalb kann er nicht ohne Weiteres „erlernt“ werden und lässt sich nur schwer verändern (vgl. Haslinger & Patek 2007: 153; Erler 2007: 43f.).

Klassismus und Bildung

Der Habitus beeinflusst maßgeblich den individuellen Erfolg im Bildungssystem, also auch die Karriere(chancen). Das hat der französische Soziologe und Philosoph Pierre Bourdieu erforscht (1930-2002). Ihm zufolge sind Bildungseinrichtungen wie Schule und Universität nur theoretisch für alle zugänglich. Vielmehr ist es so, dass die dort erwar­teten und vermittelten Fähigkeiten, Werte, Umgangs- und Ausdrucksformen bürgerliche Kinder bzw. junge Erwachsene privilegieren. Aufgrund ihrer familiären Sozialisation sind diese mit der Sprache und Kultur der Schule/ Universität bereits vertraut. Die finanziellen Voraussetzungen spielen auch eine Rolle, denn sie ermöglichen es, Nachhilfe oder andere Förderungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen. Verkürzt kann man also sagen: Wer den „richtigen“ Habitus hat, hat es im Bildungssystem leichter (vgl. Erler/ Laimbauer/ Sertl 2011: 28ff.; Aumair 2021: 223f.; Erler 2007: 39 ff.)

Habitus-Struktur-Konflikt

Je stärker der eigene Habitus von dem abweicht, was in der Bildungsinstitution erwartet wird, umso stärker entsteht das Gefühl fehl am Platz und/ oder unfähig zu sein. Man spricht hier auch von einem Habitus-Struktur-Konflikt (vgl. Haslinger & Patek, 2007: 150f.; Schmitt 2006: 8).  Ein Beispiel: Kinder aus Arbeiter*innenfamilien, die als erste ihrer Familie studieren, fühlen sich an der Universität oftmals überfordert und nicht willkommen. Im Gegensatz zu Kindern aus Akademiker*innenhaushalten müssen sie sich eine entsprechende Ausdrucksweise und Wissen über Normen und Verhaltensweisen an der Universität erst mühsam aneignen. Aufgaben wie das Zusammenstellen eines Stundenplans oder das Lesen von Fachtexten werden somit zu großen Herausforderungen (vgl. Haslinger & Patek 2007: 159f.).

Bildungsgerechtigkeit kann also nicht dadurch erreicht werden, alle gleich zu behandeln, weil nicht alle die gleichen Voraussetzungen haben. Dies wird jedoch häufig nicht anerkannt bzw. übersehen. Stattdessen werden Schwierigkeiten in der Schule/ Universität auf individuelles Versagen, man­gelndes Können bzw. Wollen oder fehlende Kompetenzen zurückgeführt – auch von den benachteiligten Personen selbst.

 

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Literaturverzeichnis:

Aumair, Betina (2021): Bildung und soziale Ungleichheit: Impulse für eine klassismuskritische außerschulische Bildungsarbeit. IN: Seeck, Francis & Theißl, Brigitte (Hersg.): Solidarisch gegen Klassismus – organisieren, intervenieren, umverteilen (2. Auflg.). Münster: Unrast-Verlag.

Erler, Ingolf (2007): Die Illusion der Chancengleichheit. IN: Erler, Ingolf (Hersg.): Keine Chancen für Lisa Simpson? Soziale Ungleichheit im Bildungssystem. Wien: Mandelbaum, S. 39-47.

Erler, Ingolf & Laimbauer, Viktoria & Sertl, Michael (2011): Wie Bourdieu in die Schule kommt. Analysen zu Ungleichheit und Herrschaft im Bildungswesen (Schulheft 142). Innsbruck/Wien/Bozen: Studien Verlag.

Kemper, Andreas & Weinbach, Heike (2020): Klassismus. Eine Einführung (3. Aufl.). Münster: Unrast-Verlag.

Knop, Julian & Macioszek, Frede (2022): Einleitung. IN: Knop, Julian & Macioszek, Frede (Hersg.): Klassenfahrt. 63 persönliche Geschichten zu Klassismus und feinen Unterschieden. Münster: edition assemblage, S. 7-13.

Haslinger, Susanne & Patek, Andrea (2007): Studieren zwischen Schein und Sein. Die Situation Studierender bildungsferner Herkunft im Studienalltag. IN: Erler, Ingolf (Hersg.): Keine Chance für Lisa Simpson? Soziale Un­gleichheit im Bildungssystem. Wien: Mandelbaum Verlag, S. 148-165.

Seeck, Francis (2021): Hä, was heißt denn Klassismus? IN: Seeck, Francis & Theißl, Brigitte (Hersg.): Solidarisch gegen Klassismus – organisieren, intervenieren, umverteilen (2. Auflg.). Münster: Unrast-Verlag.

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