#tone policing

Tone Policing (dt. „Ton-Kontrolle) ist eine bewusste oder unbewusste Diskussionsstrategie bzw. eine Ablenktaktik, bei der nicht auf den Inhalt des Gesagten eingegangen wird, sondern vielmehr der Tonfall einer Person zum Gegenstand der Diskussion wird.

Beim Tone Policing geht es gezielt darum, Argumente oder Aussagen abzuwerten, Diskussionen stillzulegen und Menschen zum Schweigen zu bringen. Besonders marginalisierte Menschen sind von dieser Strategie bzw. Taktik betroffen, z. B. Schwarze Menschen, People of Color, Frauen, Menschen mit Behinderung, queere Menschen, dicke Menschen, arme Menschen oder migrantisierte Menschen.

US-amerikanische Aktivist*innen machten in den 2010er Jahren auf das Phänomen Tone Policing aufmerksam. Sie kritisierten, wie die Strategie bzw. die Taktik gegen feministische und antirassistische Befürworter*innen verwendet wurde. 2015 veröffentlichte Everyday Feminism hierzu ein Comic, in dem die Funktion von Tone Policing veranschaulicht wird.

Der Ton macht die Musik

In einer Diskussion wird ein sachlicher, respektvoller und freundlicher Umgangston erwartet. Die Redewendung „Der Ton macht die Musik“ fasst dies gut zusammen. Denn es kommt nicht nur darauf an, was gesagt wird, sondern auch, wie etwas gesagt wird. Der Tonfall einer Aussage entscheidet, wie der Inhalt aufgefasst wird. Doch Gespräche dieser Art verlaufen nicht immer harmonisch. Besonders dann nicht, wenn es um gesellschaftskritische Themen geht wie z. B. Rassismus, Sexismus, Rechtsextremismus, Gewalt gegen Frauen, Transfeindlichkeit, Asylpolitik oder Diskriminierungserfahrungen.

Wenn marginalisierte Menschen ihre Diskriminierungserfahrungen zum Thema machen oder Kritik an Unterdrückungssystemen äußern, stoßen sie oft auf Abwehrhaltungen und werden auf ihren vermeintlich unangemessenen Ton hingewiesen. In solch einer Diskussion fallen oftmals Sätze wie

„Beruhig dich erstmal!“

„Du bist viel zu emotional.“

„Okay, aber können wir vielleicht auf einer sachlichen Ebene weiterdiskutieren?“

„Kannst du das nicht ein bisschen freundlicher formulieren?“

Tone Policing impliziert, dass Emotionalität und Sachlichkeit nicht koexistieren können. Diskussionen und Gespräche müssten daher ruhig und von Emotionen losgelöst stattfinden. Eine Debatte könne demnach nur dann konstruktiv und erfolgreich sein, wenn Meinungen oder Argumente sachlich geäußert und gleichwertig behandelt werden.

Die Rolle von Macht

Macht spielt beim Tone Policing eine maßgebende Rolle. Es sind vor allem privilegierte Personen, die diese Taktik bewusst oder unbewusst anwenden und damit die Kontrolle über das Gespräch übernehmen.

Sie kritisieren nicht nur den Tonfall, sondern stellen durch Kommentare wie die folgenden auch Bedingungen an das Gespräch:

„Musst du so vorwurfsvoll sein?“

„Die Leute würden dir viel eher zuhören, wenn du dich ein bisschen freundlicher ausdrücken würdest.“

„Ich kann dich nicht ernst nehmen, solange du nicht ruhiger redest.“

So vermitteln nicht Betroffene, dass sie erst dann zuhören werden, wenn ihr Gegenüber einen ruhigen und sachlichen Ton annimmt und sich von den eigenen Emotionen distanziert. Das Wohlbefinden und die Emotionen der nicht betroffenen Person stehen hier im Vordergrund. Tone Policing ermöglicht, von unangenehm empfundenen Themen abzulenken und das Gegenüber verstummen zu lassen.

Marginalisierte Menschen befinden sich häufig in einer Position, in der sie immer wieder über ihr Existenzrecht und ihre Menschlichkeit verhandeln müssen, damit sie gesehen und gehört werden. Emotionen wie Wut, Frustration oder Angst sind dabei wichtige Reaktionen auf ungerechte und lebensbedrohliche Situationen. Die Forderung, sich von gelebten Ungerechtigkeiten zu distanzieren und dabei sachlich zu bleiben, ist ein Ausdruck von ungleich verteilter Macht.

Tone Policing erfüllt mehrere Funktionen

Es gibt zwei Funktionen, die beim Tone Policing besonders häufig auftreten: Derailing und Silencing.

Derailing (dt. „Entgleisung“) lenkt Debatten absichtlich in eine andere Richtung und vom eigentlichen Thema ab. Dadurch wird der Fokus verschoben und zu einem Nebenaspekt oder gar nicht mehr besprochen. Derailing führt dazu, dass wichtige Themen nicht nachhaltig besprochen werden können und dadurch individuelle und gesellschaftliche Entwicklungsprozesse gestoppt werden.

Beim Silencing (dt. „zum Schweigen bringen“) werden marginalisierte Menschen absichtlich zum Schweigen gebracht. Gerade wenn es um das Mitteilen von Diskriminierungserfahrungen geht und Betroffenen zugehört werden sollte, werden ihre Emotionen und Erfahrungen oftmals nicht ernst genommen, belächelt oder gar nicht erst gehört.

Zum Weiterlesen

Darf sie das? Der Podcast – Nicole Schöndorfer Folge #2: Aber nicht in diesem Ton (Feb.2019)

SZ-Kolumne “Wut Feminismus”

Michaela Dudley über Tone Policing (ZEIT)

DLF Nova: Beitrag zur Meinungsfreiheit “Das wird man ja wohl noch sagen dürfen”

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